Seit den ältesten Zeiten sind die Bergleute als musik- und sangesfreudige Menschen bekannt. In welcher Zeit im alten Bergmannsdorf Herdorf die ersten Musikinstrumente bekannt geworden sind, ist wohl nicht mehr genau festzustellen. Durch die Schrecken des 30jährigen Krieges, welcher mehrere große Pestepidemien mit sich brachte, war unsere Heimat fast menschenleer geworden. Die Häuser waren verbrannt oder verfallen und die wenigen Überlebenden hatten sich in die entlegenen Täler und Seifen geflüchtet und dort notdürftige Behausungen eingerichtet.
Im Jahre 1661 heiratete unsere Landesfürstin, Gräfin Johanetta von Sayn, den Herzog von Sachsen-Eisenach. Bei einer Besichtigung seines neu erworbenen Landes wurde der Herzog auf die reichen Bodenschätze unserer Heimat aufmerksam. Um diese Zeit war im westlichen Erzgebirge der Silbererzbergbau fast völlig zum Erliegen gekommen, und der Herzog entschloss sich, eine Anzahl der dort arbeits- und brotlos gewordenen Bergmannsfamilien in Herdorf und Umgebung anzusiedeln. Unter anderem waren es die Familien Brühl, Schlosser und Stinner, welche die weite Reise ins Hellertal gemacht haben.
Zur damaligen Zeit waren im Erzgebirge schon Zither, Violine und Gitarre als Hausmusikinstrumente weit verbreitet, und man darf wohl annehmen, dass die Umsiedler die ihnen liebgewordenen Musikinstrumente mit in die neue Heimat genommen haben.
Vielleicht sind damals auch Blasinstrumente mitgebracht worden. Jedenfalls stammen die ältesten, in Herdorf bekannten Blasmusikinstrumente alle aus Klingenthal und Marktneukirchen, der engeren Heimat der umgesiedelten Bergleute.
Anscheinend waren die Umsiedler in der neuen Heimat etwas übermütig geworden, denn 1706 wurden von der Wartburg aus für unsere Gegend die sogenannten Luxusgesetze erlassen. Darin wurde unter anderem Musik und Tanz bei schwerer Strafe verboten.
Die nun folgenden Ausführungen stammen von dem im Jahre 1860 geborenen und 1939 verstorbenen Peter Schlosser, genannt Hirts Peter.
In seiner Jugend waren außer Zithern, Violinen und Gitarren auch einige Blasinstrumente in Herdorf vorhanden. Die Saiteninstrumente wurden allgemein genutzt, aber die Blasinstrumente lagen verstaubt auf den Speichern. Sein Großvater, welcher jahrzehntelang in Herdorf als Hirte tätig war, habe zum Kühe austreiben eine Ventiltrompete benutzt. Der 1870 in der Schlacht Vionville berühmt gewordene Trompeter soll ein Herdorfer namens Pieck gewesen sein.
Mit seinen Brüdern Bonifatius, August und Wilhelm sowie einigen Verwandten und bekannten Altersgenossen erwarb Peter Schlosser einige der auf den Speichern liegenden Blasinstrumente, und sie begannen 1876 auf den Instrumenten zu üben. Von der damals schon in Nauroth bestehenden Kapelle erwarben sie einen B-Bass.
Das Geheimnis des Bassschlüssels brachte ihnen ein alter blinder Kostgänger aus Altenseelbach bei, welcher in seinen jüngeren Jahren aus Böhmen eingewandert war. Das erste Übungslokal war Christians Bäu´chen, ein heute noch existierender Anbau an der Gastwirtschaft Titus Schmidt. Entweder waren die damaligen Herdorfer Mitbürger noch keine Freunde der Blasmusik, oder es hat bei Christians furchtbare Misstöne gegeben. Es war nämlich ein Antrag an den Gemeinderat gerichtet worden, die Musik zu verbieten, weil Gefahr bestünde, dass durch den Radau die Kühe verkalben könnten. Glücklicherweise ist diesem Antrag nicht entsprochen worden.
Im Jahre 1879 waren von der Kapelle schon einigen Hochzeiten mit gutem Erfolg gespielt worden, und auch bei den Hackefesten hatten sie zum Tanz aufgespielt. Da kam im August der erste größere Auftrag. In Steineroth war eine Kirmes zu spielen. Mit blankgeputzten Instrumenten war Peter Schlosser mit seinen Genossen um die Mittagszeit in Steineroth angelangt und nach einer kurzen Stärkung hatten sie auf einer über einer Miste errichteten Bühne Platz genommen. Kaum hatten sie eine Stunde gespielt, da war plötzlich eine Starke Bande besoffener Mäckeser von der Molzhainer Höhe auf dem Kirmesplatz aufgetaucht. Im Nu war eine schwere Schlägerei im Gange. Unverständlicherweise war die Wut der Mäckeser auch auf die Musik gerichtet. Mit knapper Not hatte Hirts Peter den großen Bass in Sicherheit bringen und mit seinem Kollegen unter dem Hagel von Steinen in Richtung Alsdorf fliehen können. Im Jahre 1803 war Herdorf zu Nassau gekommen und der Fürst Friedrich August besichtigte in demselben Jahr bei einer Reise durch das Hellertal den Stollen Hollertszug. Hier begrüßten ihn die Berg- und Hüttenleute in ihrer Tracht mit Fahnen, Schlegel, Eisen, Schippe und Hüttenspieß, mit Musik und Bergmannslieder
Inzwischen war den jungen Musikern bekannt geworden, dass anderswo schon Musikkapellen bei Fronleichnamsprozessionen mitwirkten. Peter Schlosser wurde bei dem damaligen Pfarrer Thome (1869 bis 1897 Pfarrer in Herdorf) vorstellig, diesen Brauch auch in Herdorf einzuführen. Er bekam jedoch eine Absage mit der Begründung, es wäre undenkbar, dass Instrumente, welche bei öffentlichen Veranstaltungen benützt würden, auch bei kirchlichen Feiern gespielt werden könnten. Peter Schlosser brachte es aber trotzdem fertig, dass die Kapelle 1885 beim Umzug von der alten in die neuerbaute Kirche spielen durfte. Nun war der Bann gebrochen und im nächsten Jahr durfte die Kapelle auch bei der Fronleichnamsprozession spielen. Vielleicht hatte die Kapelle dadurch beim Pfarrer Sympathie erworben, weil sie seit drei Jahren am Heiligen Abend, Silvesterabend, Christi-Himmelfahrt- und Pfi ngstmorgen auf der Bickingshöhe (so nannte man früher die Höhe, auf der heute das Kreuz steht) Choräle und Kirchenlieder gespielt hatte. Diese schönen Bräuche sind von der nachfolgenden Bollnbacher Bergkapelle und dem Herdorfer Musikverein noch lange Zeit beibehalten worden.
Neben der Grube Stahlert hatte sich um 1880 die Grube Bollnbach zu der bedeutendsten Grube des Hellertals entwickelt. Der damalige Obersteiger Schweisfurth war auf die jungen Musiker, welche alle auf den beiden oben genannten Gruben beschäftigt waren, aufmerksam geworden. Er machte den Musikern den Vorschlag, eine Bergkapelle zu gründen. Ohne lange zu überlegen, wurde das Angebot angenommen, denn die Kapelle war noch kein Verein im heutigen Sinne, sondern lediglich eine zwanglose Gesellschaft.
Am 8. März 1888 fand im Zechensaal der Grube Bollnbach unter dem Vorsitz des Obersteigers Schweisfurth die Gründungsversammlung der Bollnbacher Bergkapelle statt. Außer Obersteiger Schweisfurth waren die Steiger Johann August Heidrich, Bernhard Diesing, Heinrich Ermert, Peter Heidrich und Aloys Stockschläder anwesend. Peter Schlosser wurde zum Dirigenten gewählt. Von den aktiven Musikern waren Peter Zöller, Karl Kötting, Wilhelm Schlosser, Anton Jung II, Peter Jung, Aloys Link, Peter Stinner, Paulus Stinner, Peter Grünebach, Franz Kötting, Wilhelm Erner, Aloys Stinner I, Theodor Dait und Edmund Schlosser anwesend. Aus den am selben Tage aufgestellten Vereinsstatuten ist vielleicht bemerkenswert, daß als Präses der Kapelle immer der jeweilige Obersteiger der Grube Bollnbach fungieren sollte und daß sämtliche Mitglieder der Kapelle auf der Grube Bollnbach beschäftigt sein mußten. Außerdem mußte jedes Mitglied über 16 Jahre alt und unbescholten sein.
Obwohl die Brüder August und Bonifatius Schlosser der neu gegründeten Kapelle nicht beitraten, kann man feststellen, dass die Namen Schlosser und Stinner, Nachkommen der aus dem Erzgebirge zugewanderten Bergleute, dominiert haben. Bis zum heutigen Tage sind aus diesen Familien immer gute Musiker hervorgegangen.
Nach dem Krieg von 1870/71 war auch in Herdorf ein Kriegerverein gegründet worden und an Kaisergeburtstag, Sedanfest und Schützenfest wollten die Veteranen immer den Parademarsch klopfen. Um das zum Parademarsch gehörende Ausschwenken und etwas soldatischen Drill zu lernen, wurde der ungediente Kapellmeister Peter Schlosser vom Obersteiger Schweisfurth nach Siegen geschickt. Dort gastierte anlässlich des Siegener Schützenfestes in der Eintracht eine Militärkapelle. Peter Schlosser hatte den Auftrag, sich dem Musikmeister vorzustellen und wegen einer Ausbildung vorzusprechen. Peter Schlosser, dem alles soldatische zuwider war, fuhr nach Siegen, hörte und sah sich alles gut an und fuhr, ohne mit dem Musikmeister gesprochen zu haben, wieder nach Hause. Dort erklärte er, der Musikmeister habe ihm gesagt, er hätte im Sommer keine Zeit. Man möge im Winter noch einmal in der Angelegenheit bei ihm nachfragen.
Es war vom Obersteiger eingerichtet worden, daß alle Musiker auf einer Schicht beschäftigt waren. Mittwochs und Sonnabends durften sie schon um 10 Uhr ausfahren, um im Zechensaal zu proben. Es wurden eine große und eine kleine Trommel und zwei, bis dahin in Herdorf noch unbekannte, Klarinetten angeschafft. Im Oktober 1888 erhielt die Kapelle die ersten Uniformen. Es mußte jedoch jeder Musiker seine Uniform selbst bezahlen. Sie wurde in Monatsraten vom Arbeitslohn einbehalten. Diese Uniformen sind - von geringen Abweichungen abgesehen - bis zum heutigen Tage die gleichen geblieben.
Zwischen dem Dirigenten Peter Schlosser und dem Musiker Aloys Stinner war es im Laufe der Zeit häufi g zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Daraufhin trat Peter Schlosser 1890 aus der Kapelle aus und Aloys Stinner wurde sein Nachfolger.
57 Jahre, von 1890 bis 1947 hat Aloys Stinner das Amt des Dirigenten bekleidet. Außer diesem Amt war er 1. Vorsitzender von 1932 bis 1946 sowie Geschäftsführer und Hauptkassierer von 1888 bis 1946. Ihm können wir heute nur großen Dank sagen und feststellen: er lebte für seine Kapelle, die Bollnbacher!
Unter seiner Leitung begann der eigentliche Aufstieg der Kapelle und im Jahre 1892 zählte sie schon 25 aktive Musiker. Aus seinen 25 aktiven Musikern hatte Aloys Stinner auch eine Gesangsabteilung gegründet und bei Konzertveranstaltungen trat die Kapelle mit Musik- und Gesangsdarbietungen auf. Einige Jahre später wurde aus dieser Gesangsabteilung von Aloys Stinner der Männergesangverein gegründet.